Freitag, 25. Februar 2022

Und neulich am Telefon sprachen wir über den Krieg.

Und neulich am Telefon sprachen wir über den Krieg. Zwei Freundinnen, Mitte Dreißig, Single, eigene Wohnung, guter Job. Ich dachte nicht, dass ich das mal erleben würde. Krieg, Flucht - das war präsent im Alltag, man denke nur an die Flüchtlingskrise. Aber in meinem Kopf war ich immer die, die sie willkommen hieß. Oder die, die im Geschichtsbuch oder im Tagebuch der Großeltern ihre Geschichten erfuhr. Doch heute sitze ich hier und frage mich, wann ich eigentlich entscheiden würde, das Land zu verlassen. Wie würde das gehen? Ins Auto setzen und losfahren? Wohin? Mit so vielen Dingen wie reingeht oder nur dem Gepäck wie für den nächsten Urlaub? Würde ich wirklich alles hier hinter mir lassen? Womit das bezahlen? Und wo dann leben? Wie geht das - dieses "von vorne anfangen"? Oder würde ich bleiben - immer in der Hoffnung "so schlimm wird es ja nicht"? Unwahrscheinlich ist das nicht, hatte ich doch auch an die Diplomatie geglaubt, die einen Krieg in Europa verhindern würde. An die Menschen geglaubt nicht absichtlich ins Jahr 1941 zurückkehren zu wollen. Und doch sitze ich nun vor dem Fernseher und kann den Blick nicht abwenden. Ich sitze hier in meinem Wohnzimmer und sehe live einem Krieg zu, der - wenn das alles entgleist - auch bald mein Krieg sein könnte. Der mich dazu zwingt, auf eben diesem Sofa zu entscheiden, selbst flüchten zu müssen. Ich vermag es mir nicht vorzustellen und doch ist es so nah dran. Ich gehe dennoch sehr dankbar ins Bett und hoffe.

Samstag, 22. Januar 2022

Pandemiegedanken

Ich bin es leid. Ich bin es leid, mich entscheiden zu müssen, ob ich meine Freunde sehe oder meine Familie gefährde. Ich bin es leid, einen Blumentopf zu kaufen und als Großereignis in mein Wohnzimmer zu stellen, nur damit Farbe in mein Leben kommt. Ich bin es leid, bei jedem Ton meines Handys zu überlegen, ob es nun eine gute Idee ist. Oder zu gefährlich. Oder zu einsam. Kein Kino, keine Bar. Ich bin es leid. Der Spaziergang im Kiez ist trist geworden. Hundehaufen, vertrocknete Weihnachtsbäume, eine Maske in der Pfütze.

Von außen betrachtet sieht es eigentlich ganz schön aus. Von innen betrachtet angenagt durch Gedankenschleifen. Ich hab es doch gut. Guter Job, Arbeit zuhause, schöne Wohnung. Sonntags leckere Ente aus dem Ofen. Mit einer Prise Schuld, dass dennoch etwas fehlt, obwohl alles da ist. Müsste ich nicht fröhlich aus dem Bett hüpfen, die Zeit genießen. Mein Italienisch am Leben erhalten, das Aquarell zuende malen, das neue Buch lesen. Was draus machen, wie man so schön sagt? Das tun, was ich beklagt hätte, nicht geschafft zu haben, wäre ich im Kino gewesen?

Ich bin es leid, die Zeit zu haben, zu beklagen, dass ich die Zeit nicht nutze. Es wiegt schwer. Die Verantwortung für die Gesundheit anderer. Die fehlende Wahlfreiheit. Das mühsame Aufrechterhalten des Glücks. Ich bin es leid.

Samstag, 21. August 2021

Bitte bis Dienstag.

Neulich habe ich ein paar Freunde nach einem Satz über mich gefragt. Es ging um eine kurze Beschreibung meiner Person für ein Leadership Offsite meines Jobs. Was am Beginn nur ein kleines To Do auf meiner Liste war und sich zwischen Wäsche waschen und Pasta kochen einreihte, wurde zu einer wirklich interessanten Reise. Denn wie oft denken wir so über uns selbst nach? Was uns eigentlich ausmacht? Warum wir tun was wir tun?

„Menschenbezogen und kreativ“ war einmal die Antwort meines Chefs auf diese Frage in einem Meeting. Trifft es eigentlich ganz gut. Doch wie sehr weiß man das eigentlich von sich selbst? Kennen einen die anderen besser als wir uns selbst?

Eine andere Antwort umschrieb mich in etwa so: „Neues entdecken und ein Gespür für das nur Fühlbare - Gutenberg würde sich freuen“. Würde er? Naja immerhin hätte er etwas zum Drucken, da das Schreiben mich wirklich ausmacht. Zumindest sage ich das oft von mir selbst. Und scheinbar auch befragte Freundin. Der Kern meines beruflichen Lebens ist es leider nie geworden. Das Gespür für Menschen jedoch bringe ich recht gut ein. Führt uns das Leben also in die Richtung, auf jenen Weg, auf dem wir wirklich gut aufgehoben sind? Auch wenn er vielleicht von der eigenen Vorstellung abweicht?

Als ich Freunde auf einem Urlaubstrip um diesen Satz bitte, albern wir herum. Viele finden, was mich ausmacht, ist, dass ich so fröhlich bin. Susi Sonnenschein und so. Und im Grunde stimmt das. Ich lache laut und gerne und viel. Und doch war und bin ich gerne auch mal melancholisch, denke zu viel und bin gern durchorganisiert. Auf die Frage, bis wann ich diesen Satz bräuchte, kommt prompt: bis Dienstag bitte! Auch das gehört zu mir.

Sehen also wir selbst und alle um uns herum nur jeweils eine Seite von uns? Wer versteht dann wer wir wirklich sind? Nicht einmal wie selbst? Kümmern wir uns so gut um das Äußere um uns herum, damit wir uns nicht um das Innere kümmern zu müssen? Schicke Wohnung, Instagram-taugliche Pflanzen, ein Bild aus einer Galerie. Doch uns lassen wir verkümmern?

Oder ist das jene Aufgabe, die es im Leben zu erfüllen gilt? Sich wirklich zu kennen? Ich mache mich auf den Weg, ein bisschen Zeit habe ich ja. Bis Dienstag.

Sonntag, 8. August 2021

Der Sinn des Lebens

„Gott, was sagst du den Menschen, bevor sie auf die Erde gehen?“

„Meist fragen sie mich, was denn ihre Aufgabe ist,
der Sinn dieses Lebens, das sie dort verbringen.
Ich sage jedem von ihnen, der einzige Sinn sei es, glücklich zu sein.“

„Das ist alles?!“

„Ja, das ist alles.
Natürlich gibt es ein paar Spielregeln.
Liebe auf diesem Weg deine Nächsten, wie dich selbst.
Töte nicht. Stehle nicht. Lüge nicht.
Die Sache mit dem Neid.
Du weißt schon.
Aber ja, das ist alles.
Aber glaube nicht dass es einfach sei!
Schau dir die Menschen doch mal an! Wer hat es denn erreicht?“

„Viele sind ganz schön alt“, murmelt der kleine Engel.
„Und manche haben das wohl ganz vergessen.“

Freitag, 2. April 2021

Corona-Fatique: Über das Meditieren mit Autos.

Ich vermisse Menschen. Zumindest glaube ich das. Zwar lebe ich in einer Millionenstadt und eine Autofahrt durch Wedding lässt Corona beinahe als fiktive Netflix-Parallelwelt erscheinen. Ein Krankenwagen, ein zweiter, ich mache Platz. Polizeiaufgebot vor einem Hochhaus, beim Vorbeifahren sehe ich einen Mann in Handschellen, umringt von gelassenen Berliner Polizeibeamten. Und doch: Gestresste Langeweile. Panische Traurigkeit. Null-Bock-Melancholie. Einträge aus meinem Kalender der letzten Monate. Der Versuch, die aktuelle Stimmung zu beschreiben, die einer Achterbahn aus rohen Eiern gleicht. Laune? Divers.

Ich weiß jetzt, dass ich damit vermutlich nicht alleine bin. So zeigen es zumindest Instagram-Posts, Artikel und Medienberichte der letzten Wochen. Und dennoch fühlt es sich so an, als würde etwas mit mir nicht stimmen. Ich habe sogar Urlaub, die Sonne scheint, geh doch raus! Nachdem ich dreimal ansetze, schaffe ich es auch. Dabei bin ich dennoch irgendwie müde. Bleiern. Es gibt die inzwischen vielbeschriebene Zoom-Fatique - vielleicht trifft das auch gut den Kern dieses Corona-Gefühls.

Dabei hatte das Jahr gut begonnen. Soweit man das sagen kann, in einer weltweiten Pandemie-Situation, die alle an ihre Grenzen bringt. Körperlich, emotional und seelisch. Und das ist eben nicht das Gleiche. Aber ich hatte mir einen Plan gemacht. Ich wollte meditieren lernen. Und ich habe auch damit angefangen. Nach wenigen Wochen höre ich, wie Menschen in meinem Umfeld mir das sogar in Videokonferenzen anmerken. Innere Euphorie. Doch ein stressbedingter Tinnitus flüstert mir wenige Wochen später das Gegenteil ins Ohr. Also gut: mehr Bewegung muss her. Sport-Daily um 9, Spaziergang mit Achtsamkeits-Podcast auf den Ohren um 12 und Meditation um 19 Uhr. Sagt mein Kalender. Schokolade und ein Glas Wein sagt die Realität. Gut, nun muss ich mich nicht schlecht machen, ich bewege mich wirklich mehr - meditiere allerdings weniger. Und dann kommen die Tage, an denen einfach alles diffus ist. Fühle mich zu schwer, um wirklich was zu reißen. Dabei drängen sich die Sachen, die ich doch eigentlich so gern machen wollte. Jetzt, wo ich frei habe. Mehr Zeit. Keine Ausreden.

In der Meditationsanleitung hieß es, man solle die Gedanken kommen lassen. Und auch gehen lassen: Stell dir vor, du sitzt an der Straße. Es fahren Autos vorbei. Doch statt auf jedes Auto zu zu rennen und zu versuchen, den Verkehr zu regeln, setze dich einfach an den Rand und schaue nur zu. Lass sie vorbeifahren. Sie sind gerade nicht wichtig. Die Vorstellung beruhigt mich und ich habe dazu ein klares Bild im Kopf. Und doch fühlt es sich manchmal so an, als säße man mitten auf dieser Straße. Laut, unaufhörlich, irgendwie überfahren.

In meinem Kalender blättere ich zurück an die guten Tage. Spaziergang, Videokonferenz, Überraschungsbesuch vor der Tür. Ich weiß nicht, ob es einfach eine Art Corona-Laune ist, für die sie später noch ein tolles Wort erfinden werden, was dann feierlich in den Duden aufgenommen wird, wenn wir uns kopfschüttelnd zurückerinnern, wie diese Pandemie-Zeiten waren. Wir werden lächeln, ja vielleicht uns selbst belächeln, weil wir schon gar nicht mehr verstehen können, warum es uns so – nicht schlecht, nicht gut – aber irgendwie komisch ging. Diffus. Zu finden unter Ahumanopenie, Mangelerscheinung.

Sonntag, 6. Dezember 2020

Weihnachten 2020

Und plötzlich brennt wieder die zweite Kerze. Wir schauen die gleichen Filme wie im letzten Jahr, backen das gleiche Plätzchen-Rezept und überlegen wieder, was wir Tante Ursula nun schenken. Und dazwischen? Ein Jahr rum. Fühle mich genauso allein wie vor einem Jahr. Wo ist es hin, dieses Jahr? Feiertage und Trubel; dann ein Virus, der um die Welt geht. Das Zuhause wird mehr Mittelpunkt, als wir es uns jemals hätten vorstellen können. Freizeitstress heißt jetzt, sich selbst zu isolieren um die Lieben sehen zu können. Und manch einer wird darauf sogar zu Weihnachten verzichten.

Was aber hatte ich mir vorgestellt? Wie hätte das Jahr denn sonst ausgesehen? Wilde Partys in einer Sommernacht am Kanalufer? Endlose Abende auf dem Balkon mit Freunden? Vielleicht ein Date? Das kleine Herzsymbol in der Ecke meines Displays bedeutet inzwischen nur sinnloses Wischen ohne echte Möglichkeit. Einfach nur ein verlorenes Jahr? Versackt ohne die Möglichkeiten zu nutzen, die es gegeben hätte? Eine Sprache lernen, Sport machen, sich selbst finden? Alles wieder eine Möglichkeit für die nächsten guten Vorsätze. Und ebenso nichtig.

Freitag, 27. März 2020

Mit Jogginghose in der digitalen Warteschlange

Ein Erfahrungsbericht nach zwei Wochen Homeoffice


Zugegeben, ich bin ein Fan vom Homeoffice. Arbeit und Privates vermischt sich in meinem Kopf sowieso, warum nicht auch der Ort des Geschehens? Ich lebe alleine, weder störe ich also jemanden, noch habe ich die chaotischen Aufgaben des Homeschoolings von zwei Kindern zu bewältigen. Corona zwang mich nun, dies nicht nur ein oder zwei Tage zu tun, um einen kreativen Fokus zu bekommen, sondern den Alltag genau so zu gestalten. Probleme oder gar Angst machte mir das zunächst einmal nicht. Und dennoch ist seit zwei Wochen gefühlt Alles ein klein wenig anders. 

Ich sitze auf dem Balkon in der Mittagssonne. Ein Stück die Straße hinunter übt jemand Opernarien und vom Balkon nebenan starrt mich die Nachbarskatze an. Das Telefon klingelt. Mein Esstisch ist nun mein Schreibtisch geworden. Fast jeden Tag sitze ich hier zwischen zwei und sechs Stunden vor der Kamera. Videocalls (zu denen mein lieber Kollege Daniel hier wertvolle Best Practices liefert!) ersetzen das Sitzen in Meetingräumen. Und wie ich bemerke, ist das durchaus nicht weniger produktiv. Im Gegenteil. Ein kurzer Zoff verpufft schneller auf dem heimischen Balkon. Kochen in der Mittagspause sortiert die eignen Gedanken. Das Feierabendbier mit den Kolleg*innen schmeckt auch virtuell.

Gemeinsam weniger allein.


Natürlich ist die Corona-Krise auch geprägt von wirtschaftlichen Ängsten. Künstler, Kleinunternehmerinnen, gastronomische und kulturelle Betriebe stehen teils vor dem Ruin. Für die Beantragung von Soforthilfen der Bundesregierung ist die Seite der ibb zunächst zusammengebrochen. Als die Infrastruktur wieder steht, muss man sich zur Antragsstellung Zeit nehmen. Die Nachricht: „Es befinden sich 35.739 Teilnehmer vor Ihnen in der virtuellen Warteschlange.“ Nun ist also auch das Warten virtuell geworden. Und dennoch genauso nervig wie analog. Um mich herum sehe ich derzeit aber auch viel Kreativität! Gastronomen, die ihre Vorräte für den guten Zweck kochen, eine Pastorin, die auf Instagram aus der Bibel liest, Pizzaläden, die Teig to go anbieten. Vielleicht ist das ein Schritt in die richtige Richtung, ein Weiterdenken. Verursacht und ermöglicht durch einen Virus. Umgesetzt von vielen einzelnen Wohnzimmern aus.

Aber Einsamkeit? Eher nicht. Ich lerne die Wohnzimmer-Einrichtungen meiner Kolleginnen und Kollegen kennen und schwatze mit ihnen auch mal über Kinder und Kochvorhaben zu Zeiten des Kontaktverbotes. Fast jeden Abend telefoniere ich mit verschiedenen Freunden und der Familie. Viel Neues gibt es bei kaum jemandem, aber wir tauschen uns aus. Auch über’s Homeoffice. Und wie ich dabei erfahre, ist das Gefühl des nach-Hause-Kommens durchaus ein Unterschätztes. Ich empfehle diesem Freund ein reelles Feierabendbier und denke noch lange darüber nach, dass Homeoffice auch Schwierigkeiten bergen kann. Das Homeschooling-Board der Tochter einer Kollegin zeigt mir, wie viel da „nebenbei“ noch zu tun sein kann. Doch was ist „nebenbei“? Sind Kinder Nebensache? Ist der Job Nebensache? Beides unvereinbar?

Aufforderung zur Vereinbarkeit.


Eine andere Kollegin schreibt mir, dass sie sich zum Meeting in großer Runde wohl verspäte. Kochen für die Kids ist angesagt. Ich finde, niemand muss sich hier entscheiden müssen. Widersprüche sind manchmal nur eine stille Aufforderung zur Vereinbarkeit. Und Flexibilität im Kopf. Kurzerhand wird das OKR-Meeting mit zoom.us aufgenommen und den anderen Kolleg*innen zur Verfügung gestellt. Ein Slack-Channel für Fragen steht offen. Abends dann beim virtuellen Check out lassen wir alle die letzte Woche passieren. Irgendwie ist gar nichts so richtig schief gegangen?

Doch da ist die Sache mit dem Vertrauen. Ich habe in meinem Umfeld nämlich auch Personen, bei denen sich die Führungskraft sehr spät oder gar nicht dazu durchringen kann, in Zeiten der Pandemie Homeoffice für die Mitarbeiter*innen zu ermöglichen. Während ich schon seit vier Tagen in Jogginghose arbeitete, ist dieser Schritt in anderen Unternehmen offensichtlich ein nicht so leichter. Gründe reichen von Szenarien, in denen aufgrund standardmäßiger Festplatz-PCs erst einmal Laptops für die komplette Belegschaft geordert werden müssen, hin zu der Begründung des Chefs, dass er ja nicht überprüfen könne, dass alle daheim auch arbeiteten. Hier fehlt es ganz offensichtlich an einem Grundvertrauen. Führung (hier mein Artikel zum Thema Management vs. Leadership) wird auch heutzutage noch viel zu häufig als reine Kontrollaufgabe verstanden. Die Grundannahme aus jeder Retro scheint in Zeiten von Corona nichts von ihrer Relevanz eingebüßt zu haben, sondern ganz deutlich an die Oberfläche des beruflichen Alltags zu treten:

Egal was eine Person tut, gehen wir immer davon aus, 
dass diese das nach bestem Wissen und Gewissen tut, 
um etwas Positives zu bewirken.

Und nur, weil mein Chef nicht neben mir auf dem Balkon sitzt, gibt diese Grundannahme die Sicherheit eines wirklichen HomeOFFICES. Studien zeigen, dass Leute zuhause eher mehr als weniger arbeiten. Und was ich dabei anhabe, geht Keinen etwas an. In der Sonne sitzen, ist kein Faulenzen. Abwaschen beim gemuteten Headset während eines Meetings? Warum nicht? Hauptsache das Ergebnis ist gut. Und hier können wir alle weiterhin an einem Strang ziehen, uns schnell per Telefon oder Videocall zusammenfinden, auf digitalen Whiteboards gemeinsam kreativ sein.

Flexibel oder strukturlos?


Wenn ich den Browser öffne: „10 Tipps gegen Langeweile zuhause“. Langeweile? Ich arbeite! Und zwar Vollzeit! Hinweise ploppen auf, wie Homeoffice gelingen kann. Viele Artikel, Videos und Hinweise empfehlen mir derzeit, mich anzuziehen wie sonst, jeden Tag zur selben Uhrzeit meinen (Arbeits-)tag zu starten, mir einen Plan zu machen. Ich komme ins Zweifeln. Mache ich da etwas falsch? Bedeutet Homeoffice für mich doch die Flexibilität, sich den Tag dem eignen Flow anzupassen.

Wenn also der Kopf raucht – warum ein schlechter Gewissen haben, bei einer Folge der spannenden neuesten Netflix-Serie? Um 30 Minuten später wieder den Kopf für den nächsten Task frei zu haben. Natürlich gilt es, Kundenanfragen zu beantworten, Meetingtermine einzuhalten, eben den Job zu machen. Aber am Vormittag keine Videocalls, keine Meetings? Was spricht gegen die Jogginghose? Für viele Kreative, Berater und Coaches ist Gemütlichkeit auch eine geistige Einstellung, vielleicht sogar Hilfestellung. Natürlichkeit, Einfühlungsvermögen und Freiheit im Kopf helfen uns, für unsere Kunden da zu sein, Lösungen zu finden, weiterzudenken.

Nicht mehr Regeln als nötig.


Wer Struktur braucht, kann sich natürlich weiterhin seinen Tag planen, auch ich mache das hin und wieder. Pläne – nicht nur im agilen Alltag – funktionieren zwar meist nicht, aber eine mit Bedacht gefüllte Input Queue auf meinem digitalen Kanban-Board kann ja nicht schaden. Auch gibt es ein paar zeitliche und digital-soziale Regeln, wie das virtuelle Daily im Slack-Channel der Teams. Doch neue Strukturen zu schaffen, nur der Struktur wegen, halte ich nicht für hilfreich. Denn im Homeoffice geht es nicht darum, plötzlich die eigene Arbeit schleifen zu lassen und dafür händeringend Strukturen schaffen zu müssen, sondern sich die Freiheit nehmen zu können, die der eigenen Arbeit zu Gute kommt. Und die kann für Jeden etwas Anderes bedeuten. Das kann ein ausgedehnter Mittagsspaziergang mit den Kindern sein oder ein Home-Workout zwischen zwei Meetings, um den Kopf frei zu bekommen. Oder eben die Jogginghose.

Im Videochat mit Freunden machte gestern jemand den Scherz: „Naja, eigentlich kann es für dich ja dann immer so weitergehen!“ Ich habe kurz überlegt. Öfter wieder Freunde und Kollegen sehen fände ich nach Corona schon schön. Aber Homeoffice nicht zur Ausnahme zu machen auch. Eine neue Ausgewogenheit wäre für die Situation nach der Pandemie vielleicht wirklich hilfreich? Wir können hier sehen, was Corona also auch bietet: Eine Chance, Arbeit neu zu denken. Und wer weiß, vielleicht wird aus #NewWork auch #NewLife?

Dieser Artikel erschien auch im Blog der Leanovate GmbH: 
https://www.leanovate.de/mit-jogginghose-in-der-digitalen-warteschlange/